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DAS NAZI-HETZBLATT „DER ALEMANNE“ STOLPERTE 1932 SELBST ÜBER SEINEN PLUMPEN ANTISEMITISMUS

Franz Kerber, seit November 1931 Hauptschriftleiter der neugegründeten Freiburger NS-Zeitung „Der Alemanne“, muss im Oktober 1932 gekocht haben. Da hatte das Freiburger Stadttheater in seinem Blatt am 18. Oktober in einer größeren Anzeige ein Konzert des weltberühmten jüdischen Pianisten Moriz Rosenthal angekündigt. Kerber, der sich dann im April 1933 zum Freiburger Oberbürgermeister hochputschte, sah sich als fanatischer Judenhasser tags darauf nun doch veranlasst, in einer „Grundsätzlichen Aufklärung“ die damals etwa 15.000 Leserinnen und Leser des „Alemanne“ darüber zu informieren, wie diese Anzeige über einen jüdischen Pianisten in sein Blatt kam.

Im Oktober 1932 schon mächtig im Gebrauch: der Begriff “Lügenpresse” für die liberalen Zeitungen, die es in Freiburg noch gab. Der Fall Oskar Daubmann, den “Der Alemanne” in seinem Hass auf Frankreich immer wieder ausgeschlachtet hatte und der nur auf Lügen gründete, war nun aber alles andere als eine Werbung für das NS-Blatt. Abbildung: Universitätsbibliothek Freiburg

Er schrieb: „Das Stadttheater besteht darauf, daß wir Mitteilungen und Anzeigen unverändert und ohne Kommentar bringen, andernfalls die Theaterankündigungen zur Veröffentlichung uns nicht mehr gegeben würden. Wenn also der Jude Moriz Rosenthal im Inserat als der ‚unerreichte Meister des Klavierspiels‘ bezeichnet wird, so entspricht das durchaus nicht unserer Anschauung. Man beachte in solchen Fällen jeweils unsere Kritik, aus der allein die Stellungnahme der NSDAP ersichtlich ist.“ Das Abkommen mit dem Stadttheater halte „Der Alemanne“ übrigens nur deshalb ein, „weil wir glauben, unseren Lesern nicht vorenthalten zu dürfen, was das hiesige Theater an Kunst uns bietet, gleichgültig ob wir sie als gut oder untauglich bzw. undeutsch empfinden“.

Kerber, damals 31 Jahre alt und gerade mal zwei Jahre in der Partei, stellte in dieser „Grundsätzlichen Aufklärung“ also klar, dass für seine NS-Zeitung Moriz Rosenthal keineswegs ein „unerreichter Meister des Klavierspiels“ sei, ja gar nicht sein könne, da man ihn als „undeutsch“ empfinde. Nun war Rosenthal, 1862 in Lemberg geboren, in der Tat kein Deutscher, sondern ein Kosmopolit, der, so liest man, „sieben Sprachen beherrschte, einen Abschluss der philosophischen Fakultät und beeindruckende Kenntnisse in Medizin, Chemie und Philosophie besaß und ein glänzender Schachspieler war“. Er hatte die von Frederic Chopin geprägte polnische Klavierschule genossen und später selbst bestätigt, dass seine viel bewunderte Kunst des Legatospiels auf Chopin selbst zurückging. (Man kann Moriz Rosenthal übrigens heute noch hören: Auf dem Musikstreaming-Portal “Spotify” finden sich seine kompletten Plattenaufnahmen von 1928 bis 1942 – darunter auch die Werke, die er in Freiburg spielte).

Moritz Rosenthal, der 1862 in Lemberg geborene Pianist. Er war schon fast 70 Jahre alt, als er im Oktober 1932 im Stadttheater in Freiburg ein Konzert mit Werken von Chopin und Liszt sowie Eigenkompositionen gab. Foto: wikipedia.org

Als Moriz Rosenthal in Freiburg gastierte, stand er kurz vor seinem 70. Geburtstag. Begleitet wurde er im großen Theatersaal vom Städtischen Orchester Freiburg unter der Leitung von Generalmusikdirektor Hugo Balzer, der ein Jahr später nach Düsseldorf wechselte und danach nolens volens zu einer wichtigen Figur im NS-Kulturbetrieb des Reiches wurde.

Man sollte nun annehmen, dass sich „Der Alemanne“ unter den genannten Vorgaben eine Konzertkritik ersparte. Doch siehe da, drei Tage nach dem Konzert erschien in dem NS-Blatt die „Kritik über Moriz Rosenthal“. Sie war im Gegensatz zu den sonstigen Gepflogenheiten nicht gezeichnet. Dabei beschäftigte „Der Alemanne“ einen eigenen Kritiker, der ansonsten unter dem Kürzel „E.H.“ durchaus akzeptable Besprechungen ablieferte. Nun also wurde anonym geurteilt – aber sicher nicht nach Kerbers Geschmack und dem der NSDAP.„In einem außerordentlichen Konzert des städtischen Orchesters gastiert der 70jährige bedeutende Klaviervirtuose Moriz Rosenthal und bewies,“ so begann die Kritik, „daß er in rein klavieristischer Beziehung auch heute trotz nachdrängender Jugend fast unbestritten das Feld behauptet. Der so sehr auf Technik und technische Vollendung eingestellte Geist einer nur langsam entschwindenden Epoche kommt ihm in besonderer Weise zu Gute, und so ist denn seine Technik zu einer Kunst gesteigert, die ihre Impulse aus willensmäßigen Kräften seelischer Grundbezirke herleitet, während das schöpferische Prinzip und somit ein gewisser individueller, seelischer Schwung für die feinere Wahrnehmung etwas zu kurz kommt.

“Das Freiburger Publikum reagierte, so heißt es, nach dem ersten Satz des e-moll Klavierkonzerts von Chopin noch zurückhaltend. „Je mehr Rosenthal am Schluß dieses eleganten Klavierwerks, dann in dem folgenden Liszt’schen A-Dur-Klavierkonzert und schließlich in den Solostücken durch seine Passagen-Oktaven- und bezaubernde Anschlagtechnik brillieren konnte, umso stürmischer brach der Beifall los. Rosenthal ist der hoch beachtenswerte, typische Vertreter einer spielerisch-magischen Kunstausübung. Die Werte einer neuen Zeit werden, wie in der ganzen Musik, so auch auf dem Gebiet des instrumentalen Solospiels, allerdings stärker im Ethisch-Musikantischen begründet sein müssen, um einer gesunden Weiterentwicklung Raum zu schaffen.“ Was der Autor mit „Ethisch-Musikantisch“ meinte, kann man nur ahnen – wahrscheinlich eine Konzession an die Linie des Blatts, die ja dem jüdischen Typus jede Berechtigung und Befähigung zur Kunst – und später auch zum Leben absprach. Die Folgen davon musste auch Moriz Rosenthal erleiden: 1936 floh er vor dem Judenhass in Deutschland in die USA, wo er in New York eine eigene Klavierschule eröffnete. Er starb am 3. September 1946 in New York.

Franz Kerber, immerhin Chef der Redaktion, musste also erleben, dass sein plumper Antisemitismus in der eigenen Zeitung konterkariert wurde. Wie überhaupt der Oktober 1932 für den „Alemanne“ ein Monat der Pleiten wurde. Wenige Tage vorher hatte sich herausgestellt, dass der vom NS-Blatt und der NSDAP über Monate mit Empfängen und Elogen gefeierte Oskar Daubmann, der angeblich nach 16 Jahre aus brutaler französischer Kriegsgefangenschaft in Afrika entflohen und nach Deutschland und Endingen zurückgekehrt war, ein Hochstapler und Schwindler namens Hummel war. So stand „Der Alemanne“ in jenen Tagen doppelt blamiert da.

Am 23. Oktober 1932 erschien im Freiburger NS-Blatt “Der Alemanne” diese sehr wohlmeinende Kritik über das Konzert des jüdischen (und im Blattjargon “undeutschen”) Pianisten Moritz Rosenthal. Abbildung; Universitätsbibliothek Freiburg
Mit dieser “Grundsätzlichen Aufklärung” versuchte Franz Kerber, die Leser der NS-Zeitung “Der Alemanne” zu informieren, warum gerade in diesem ansonsten judenfeindlichen Blatt für einen jüdischen Pianisten geworben wurde. Er verwies auf die noch ausstehende Kritik des Konzerts in seinem Blatt – doch die fiel dann ganz anders aus, als er dachte. Abbildung: Universitätsbibliothek Freiburg
Die Ankündigung des Konzerts des jüdischen Pianisten Moritz Rosenthal im Stadttheater Freiburg in der Ausgabe vom 18. Oktober 1932 der Nazi-Zeitung “Der Alemanne”, die dessen Hauptschriftleiter Franz Kerber nicht ruhen ließ. Abbildung: Universitätsbibliothek Freiburg

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