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„Den Markt wird es immer geben“ – die jüdischen Herrenbekleidungs-Geschäfte gibt es nicht mehr

„Den Markt wird es immer geben“ – so zitiert die “Badische Zeitung“ dieser Tage Kurt Schiemann, seit 41 Jahren Herrenausstatter in der Freiburger Konviktstraße 27. Wenn er, wie man liest, Ende 2020 aus Altersgründen aufhört, Männer gut einzukleiden, wird es mit Benedikt Flügel, einem Newcomer, in der Gerberau 20 den letzten Herrenausstatter dieser Art geben.

Qualität vor Masse, das ist sicher aktuell auch das Prinzip des Herren-Mode-Hauses Kaiser in der Schusterstraße – und dies war auch das Prinzip jüdischer Herrenbekleidungs-Geschäfte, die es bis Mitte der 1930er Jahre in Freiburg gab. „Den Markt wird es immer geben“ – sie gibt es nicht mehr. Sie wurden von den Nazis und ihren Handlangern boykottiert, schikaniert, vertrieben, ausgeraubt und, wenn ihnen nicht mehr die Flucht ins Ausland gelang, ermordet.

So erging es etwa Tobias Lippmann. Der aus Samter (Polen) stammende Kaufmann hatte im Oktober 1878, wenn das Geburtsdatum stimmt, mit 18 Jahren in der Kaiserstraße 32 ein „Herren- und Knaben-Garderobe-Magazin“ eröffnet. Die Adresse hat es in sich: Hier lösten sich über die Jahrzehnte jüdische Kaufleute als Ladenmieter ab, nachdem Tobias Lippmann für eine gewisse Zeit mit seinem Geschäft in die Nachbarhäuser der Kaiserstraße (30, dann 24 und 26) umgezogen ist. Erst kam, von 1887 an, Sally Knopf, später Inhaber des größten Freiburger Warenhauses in der Kaiserstraße 56-62, dann von 1893 an Julius Marx (dessen Bettenhaus am Rotteckplatz 7 im Jahr 1937 von der Firma Striebel „arisiert“ wurde), dann im Jahr 1900 der Kaufmann Joseph Werner mit seinem Hutgeschäft und schließlich 1904 wieder Tobias Lippmann, der mittlerweile das Haus gekauft hat.

1907 übergab Tobias Lippmann das Geschäft an Josef Schiffmann, der es 1911 auch käuflich erwarb. Schon damals war das Herrenbekleidungsgeschäft, in dem auch nach Maß gearbeitet wurde, eines der führenden Häuser in Freiburg. Schiffmann erwarb einige Jahre später auch die Nachbarhäuser Kaiserstraße 34 und 36. So konnte er 1927 die drei Gebäude abreißen und darauf den großen Neubau, das „Lippmann-Haus“, erstellen lassen, das es heute noch gibt (Parfümerie Douglas). 1928 konnte die Firma Lippmann mit Eröffnung des Neubaus auch ihr 50jähriges Bestehen feiern.

Doch schon 1930 begannen mit der Weltwirtschaftskrise die Umsätze zu sinken, das setzte sich fort. 1934 betrugen sie mit 300.000 RM nur noch die Hälfte von 1929. Gute Kunden wie die Beamten und städtischen Angestellten mieden nun das Geschäft. Das Engagement von Josef Schiffmann an einer Grundstücksgesellschaft erwies sich zudem als zu riskant, weil der NS-Oberbürgermeister Kerber mit allen Mitteln die eigentlich vielversprechenden Projekte (darunter ein Ufa-Kino mit 1.000 Plätzen) bekämpfte. Dazu die Schulden vom Neubau – Josef Schiffmann musste das Bekleidungshaus verkaufen.

Käufer wurde zum 1. Januar 1935 die Firma Hettlage aus Münster. Sie hielt sich nicht an die Abmachungen, setzte den Preis für das Warenlager eigenmächtig von 70.000 auf 40.000 RM herab und kürzte auch die Miete um jährlich 6.000 RM. Im März 1942 schaffte es die Firma Hettlage, auch das Grundstück und Gebäude für 590.000 RM zu erwerben – ein Preis, den OB Kerber festgesetzt hatte. Zum Vergleich: Schiffmann hatte die drei dann abgerissenen Gebäude für 700.000 RM erworben, der Neubau hatte 560.000 RM gekostet.

Josef Schiffmann, arbeitslos geworden und 1938 im KZ Dachau schwer misshandelt, schaffte es mit seiner Familie nach Flucht und Internierung in Frankreich 1941 doch noch in die USA.

Noch schlimmer erging es Tobias Lippmann, dem ehemaligen Besitzer des Bekleidungshauses, der mit den Schiffmanns zusammen die große Villa Goetheplatz 2 bewohnt hatte. Seit Anfang 1938 hatte er die Miete nicht mehr bezahlen können, da seine Versicherung einfach die Rentenzahlungen eingestellt hatte. Er blieb bei der Familie Schiffmann wohnen, bis diese flüchtete. Am 22. Oktober 1940 wurde der Achtzigjährige, seit 1915 Witwer, zusammen mit anderen Freiburger Juden nach Gurs in Südfrankreich deportiert. Von dort kam er ins Lager Recebedou, wo er am 6. Juni 1941 ermordet wurde.

Dass der Umgang mit Herrenbekleidung, Konfektion wie Maßarbeit, spezielle Fähigkeiten erforderte, sieht man daran, dass die großen Warenhäuser davon die Finger ließen – bei ihnen gab es nur Hemden, Unterwäsche, Krawatten und Hosenträger. Es gibt Beispiele auch in Freiburg, wie wichtig es für die Spezialgeschäfte war, Zuschneider aus den Mode-Metropolen wie Paris oder Berlin vorweisen zu können.

Zu den jüdischen Konkurrenten von Tobias Lippmann im gehobenen Segment der Herrenbekleidungsgeschäften gehörten folgende Firmen: Salomon Pollock in der Schusterstraße, Ecke Eisengasse; Ruf & Co. in der Baslerstraße 24; Alfred Guggenheim & Co. in der Kaiserstraße 26; Adolf Lichtenstein in der Kaiserstraße 148 (Friedrichsbau) und Gustav Feldmann & Co. in der Kaiserstraße 112 (gegenüber der Grünwälderstraße).

Gustav Feldmann, 1870 geboren, hatte schon ein Textilgeschäft am Pforzheimer Marktplatz, als er im Oktober 1898 mit seinem Schwager Julius Fischl in der Kaiserstraße 112 in Freiburg ein „Herren- und Knaben-Garderobe-Geschäft größten Stils“ eröffnete. 1907 schied der Schwager aus (er starb im Dezember 1907) und Gustav Feldmann, mittlerweile nach Freiburg gezogen, übernahm das Herrenbekleidungsgeschäft allein.

Sein Schwager Julius muss ein Original gewesen sein, denn er liebte es, die Geschäftsanzeigen in der „Freiburger Zeitung“ mit selbstgefertigten Gedichten zu versehen. Von 1898 bis zu seinem Ausscheiden 1906 glossierte Fischl das lokale wie das Weltgeschehen mit seinen Versen, die stets, mehr oder weniger sprachmächtig, in eine Kaufempfehlung für die Anzüge, Mäntel, Westen der Firma Gustav Feldmann & Cie. mündeten. Den Leuten schien es zu gefallen. Das Geschäft in der Kaiserstraße 112 entwickelte sich prächtig, eine Erweiterung der Geschäftsräume wurde fällig – die Konkurrenz schien Fischls Gedichte eher zu nerven, wie ein anonymes „Gegengedicht“ beweist.

Gustav Feldmann, bald ein angesehener Geschäftsmann, Mitglied der Handelskammer und verantwortlich in Berufsorganisationen, hielt sich mit seinem Geschäft bis in die NS-Zeit. Auch für ihn wurde es schwerer, da die männliche Kundschaft aus dem Rathaus und den Behörden aus Angst mehr und mehr wegblieb. Nach der „Reichspogromnacht“ vom 9./10. November 1938, als die meisten jüdische Männer der Stadt ins KZ Dachau verschleppt wurden, wurden die psychischen Belastungenfür Gustav Feldmann, mittlerweile 68 Jahre alt, zuviel: den Judenhass und die Aufregungen um die Zwangsaufgabe des gut gehenden Geschäftes verkraftete sein Herz nicht mehr. Er starb am 3. Dezember 1938.

Die Witwe Rosa Feldmann geb. Fischl schaffte es nicht mehr, die geplante Flucht in die USA zu verwirklichen. Sie wurde am 22.Oktober 1940 nach Gurs deportiert, wo sie am 8. November 1940, also nur wenig später, den unmenschlichen Bedingungen dieses Lagers erlag. Mehr dazu auf stolpersteine-in-freiburg.de.

Die NS-Wirtschaftsverantwortlichen sahen wohl keinen Bedarf für den Fortbestand eines Herrenbekleidungsgeschäfts in dieser Lage, war die „arische“ Konkurrenz ja nicht weit, etwa das Geschäft von Joseph Müller an der Ecke Adolf-Hitler-Straße/ Bertoldstraße. Den Laden von Gustav Feldmann übernahm zuerst das Radio-Geschäft Theo Lauber, ein Jahr später dann Radio Kreis, dessen Inhaber Heinrich Schießel schließlich auch das Gebäude erwarb.

Nicht vergessen wollen wir in dieser Übersicht die Reihe der nichtjüdischen Herrenbekleidungsgeschäfte der Jahrzehnte bis in die NS-Zeit: Es waren C. F. Enge in der Kaiserstraße 44 (heute in der Herrenstraße); Friedrich Wempe, der mehrmals in der Kaiserstraße umzog; Rudolf Lipps, Unterlinden 3; Julius Bollerer, zuerst Kaiserstraße 131 (heute Konditorei Gmeiner), dann Kaiserstraße 72 (Adolf-Hitler-Straße 202); Max Weisel, Schwabentorstraße/ Ecke Kartäuserstraße; Wilhelm Herr als Spezialist für Herrenwäsche in der Kaiserstraße 98 und eben Joseph Müller am Bertholdsbrunnen (heute Volksbank).

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